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Hirtenbrief des Landesbischofs zum Reformationstag


27. Oktober 2022

DRESDEN - Landesbischof Tobias Bilz wendet sich zum Reformationstag mit einem Hirtenbrief an die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden der Landeskirche. 

„Wäre mein Reich von dieser Welt …“  (Joh 18, 36 – Jesus zu Pilatus)

Liebe Mitarbeitende im Verkündigungsdienst,
liebe Schwestern und Brüder,
mit diesem Hirtenbrief grüße ich Sie herzlich zum Reformationsfest. An diesem Tag denken wir besonders über die Grundlagen der Kirche nach. Wir feiern auch ihr Bestehen und tun das doch in krisenhaften Zeiten. Dabei wird das Wort Krise zurzeit so oft verwendet, dass wir seine eigentliche Bedeutung kaum noch erfassen. Es handelt sich dem Wortsinn nach um den Höhepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung. Dabei wird an einen Entscheidungsmoment gedacht, von dem aus es nur zwei Auswege gibt: den Niedergang oder die Wende zum Besseren. Steht es tatsächlich so Spitz auf Knopf?

Viele von uns empfinden angesichts der dichten Folge von Erschütterungen, denen wir ausgesetzt sind, dass wir uns mitten in einer Zeitenwende befinden. Ihnen erscheint eine Rückkehr zum Status quo ante nicht mehr realistisch. Deshalb halten sie nach dem Neuen Ausschau, welches „von Gott her“ kommen will. Diese Vorwärtsorientierung unterstütze ich sehr! Dabei ist es unerheblich, ob und wie wir das Wort Krise verwenden. Laufen wir doch auf „gelegtem Grund“, wie uns der Spruch des Reformationstages verdeutlicht (1. Kor 3, 11).

Lassen Sie mich einige ganz persönliche Gedanken mit Ihnen teilen. Sie sind Ausdruck meiner Suchbewegung nach dem Wirken Gottes und nach dem Weg, den wir als Glaubensgemeinschaft gehen können. Manchmal meine ich, etwas aufblitzen zu sehen von dem, was positiv entstehen könnte. Andermal ringe ich suchend um Klarheit. Wir sind dazu bei vielen Gelegenheiten im Gespräch. Heute schreibe ich Ihnen, was ich im Moment wahrnehmen kann.

Von Zeit zu Zeit kreisen meine Gedanken um das Gespräch zwischen Jesus und Pilatus (Joh 18, 33-38). Es ist ein wirkliches Krisengespräch, es geht um Leben und Tod. Der Ausgang des Gespräches entscheidet nicht nur über das Schicksal einer einzelnen Person, sondern einer ganzen Bewegung. Es geht um Konkurrenz und Kampf, weltliche Ordnung und Gottes Reich, Anspruch und Wirklichkeit, Gewalt und Gewaltverzicht.

Besonders beschäftigt mich im Moment dieser eine Halbsatz von Jesus: „Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen …“ Damit stellt Jesus fest, wie es in dieser Welt ist: Herrschende lassen ihre Diener für sich und ihren Herrschaftsbereich kämpfen. Sie tun das nicht immer, aber immer wieder. Sie tun das mit den Motiven, von denen sie angetrieben werden. Dabei nehmen sie Leid, Zerstörung und Tod anderer in Kauf. So ist es. So scheint es bis heute zu sein und zu bleiben.

Im Moment sind wir von dieser Feststellung besonders erschüttert. Hatte uns doch die Nachkriegsordnung mit ihren Regelungen für Mitteleuropa das Gefühl gegeben, in Sicherheit zu sein. Sind wir nicht. Krieg ist auch bei uns möglich, wenn Mächtige sich dieses Mittels bedienen. Auch andere Katastrophen sind nicht gebannt: Unwetter und Seuchen, Wirtschaftskrisen und Teuerung. Es wird uns gerade neu klargemacht: Wir leben nicht im Paradies, wir leben in einer Welt, die auch für uns mit sich bringt, was erst am Ende der Weltzeit vorbei sein wird: Tränen und Geschrei, Schmerz und Leid.

Wir können diese Realität nur aushalten, wenn wir weiterlesen, was Jesus zu Pilatus sagt: „… aber nun ist mein Reich nicht von hier.“ Es gibt also ein anderes Reich mit anderen Gesetzmäßigkeiten. Ein Reich ohne autokratische Herrscher, die für sich kämpfen lassen. Ein Reich, das nicht an irdische Grenzen gebunden ist und nicht auf die Stärke von Armeen setzt. Ein Reich, dass nicht auf den aktuellen Lebensumständen basiert, sondern in Gott selbst gegründet ist.

Von diesem Reich hatte Jesus unablässig geredet und im Sinne dieses Reiches gehandelt. Selbst in der Erwartung seiner Hinrichtung redete er noch davon. Es sei ein Reich, welches sich in persönlichen Beziehungen verwirklicht und auf die Kraft der Liebe setzt. Ein Reich, das sich unsichtbar ausbreitet und trotzdem im Verhalten seiner Bürger sichtbar wird. Die Kleinen werden bedeutsam in diesem Reich und die Mächtigen müssen sich einordnen. Dieses Reich muss gesucht werden und fordert von seinen Bürgern, dass sie das Leben mehr lieben als den Genuss und dass sie ihre Sorgen um die Zukunft fahren lassen, um die Chancen des Augenblicks zu ergreifen. Im Mittelpunkt dieses Reiches stehen die Kleinen, Schwachen und Abgelehnten. Vor nichts hütet man sich hier so, wie vor der Macht des Geldes und Besitzes. Dieses Reich flieht, wenn es herbeigezwungen werden soll. Aber es breitet sich aus wie eine große Stille, wenn Menschen sich dafür öffnen. Dieses Reich kommt wirklich aus einer anderen Welt und es ist zugleich das, was dieser Erde Zukunftshoffnung gibt.

Liebe Schwestern und Brüder,
als Bürger der irdischen Welt haben wir Anteil an allem, was Menschen hier betrifft. Wir können dieser Welt nicht entfliehen, sondern sind Teil von ihr. Wie alle anderen Menschen suchen wir nach Auswegen aus den Krisen und handeln so, wie es einigermaßen vernünftig ist. Wir geben unser Bestes, um diese Welt zu einem guten Ort zu machen. Zugleich aber wissen wir, dass das hier nicht der Himmel ist und wir den Himmel auch nicht auf die Erde holen können. Als Christen sind wir deshalb ohne Illusion: Diese Welt kennt keine krisenfreie Zeit.

Als Bürger des kommenden Gottesreiches aber haben wir besonders den Auftrag, dieses Reich zur Sprache zu bringen und in seinem Sinne zu wirken. Diesem Reich sind wir verpflichtet. Nach ihm sollen wir streben. Für uns ist es die eigentliche Wirklichkeit! Dort haben wir ein Bürgerrecht, dorthin führt uns unser Lebensweg und dort sind wir zuhause.

Was könnte das für unseren Dienst konkret bedeuten? Lassen Sie mich drei Punkte nennen. Ich orientiere mich damit an der dreifachen Liebe, die uns aufgetragen ist.

Lasst uns Gott lieben, indem wir ihm vertrauen!
Nach biblischem Verständnis läuft es immer dann schief, wenn Menschen sich von Gott unabhängig machen und meinen, selbst wie Gott zu sein. Das geschieht nicht immer so, dass es auffällt. Meistens passiert es unbemerkt. Die Anzeichen dafür sind, dass kluges Handeln wichtiger erscheint als Gottvertrauen, vordergründiger Erfolg mit Segen verwechselt wird und irdisches Glück mehr bedeutet als ewiges Heil.

Diese Anzeichen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verdichtet. Im Moment aber werden die Grenzen dieser Denkweise aufgedeckt. Aktuelle Probleme sind so verzwickt und vielschichtig, dass sie unlösbar erscheinen. Es gelingt immer weniger, unseren Wohlstand und die Zukunft der Welt abzusichern und wir sind neu mit der Macht des Todes konfrontiert. Wird es uns gelingen, das als Weckruf zu hören? Ich wünsche mir für unser Land, dass es zu dem zurückfindet, was jahrhundertelang selbstverständlich war und auf dem Schlussstein des Tores eines Bürgerhauses in Görlitz so formuliert ist: „Gott hilft. Gott hat geholfen. Gott wird helfen. 1727“ Es ist Zeit, die Menschen zu Gottvertrauen und zur Demut im Angesicht der eigenen Möglichkeiten zu ermutigen.

Für uns als Mitarbeitende der Kirche heißt das, dass auch wir uns davon lösen (müssen), dass unser Dienst hauptsächlich davon lebt, dass er unter gesicherten Bedingungen geschieht und Kraft unserer Bemühungen erfolgreich oder zumindest nicht gefährdet ist. Ich möchte mit Ihnen darüber nachdenken, wie wir uns wieder stärker als Boten des Reiches Gottes verstehen können. Wir brauchen die innere Verankerung in diesem Auftrag und eine Ablösung von dem, was nicht mehr trägt.

Lasst uns unsere Nächsten lieben, indem wir ihnen geben, was wir haben!
Es sind so viele und so große Erwartungen, denen wir uns als Christen im Hauptberuf und Ehrenamt ausgesetzt sehen. Nichts weniger als die Rettung der Welt wird von uns gefordert. Das könnte man meinen, wenn wir fremde und eigene Ansprüche auf uns wirken lassen. Natürlich sollen und wollen wir uns als nützlich erweisen! Für Zusammenhalt und Werte werden wir als zuständig erklärt. Für Trost und für die Linderung von Not, für die Benachteiligten sowieso. Wir möchten den Geboten Gottes genauso gehorsam sein wie offen gegenüber den Erwartungen der Gesellschaft. Geborgenheit und Halt wollen wir geben und missionarisch wirken. Den Weg zum Frieden wollen wir weisen und bei der Bewahrung der Schöpfung Maßstäbe setzen. Bei all dem versuchen wir natürlich, den kirchlichen Basisdienst aufrechtzuerhalten. Zugleich aber schwindet unsere Kraft mit den Mitgliederzahlen und unser Selbstbewusstsein mit den weithin sichtbaren Verfehlungen unserer Organisation. Wie halten wir diesem Druck stand?

Vor einiger Zeit habe ich Vertreter und Vertreterinnen kleiner bis sehr kleiner lutherischer Kirchen getroffen. Ich hatte den Eindruck, dass sie fröhlich unterwegs sind. Haben sie das schon hinter sich, vor dem wir uns fürchten? Sie waren nach meinem Eindruck auf eine gute Weise frei von Zahlen- und Finanzdruck. Stattdessen lebten sie gelassen und aktiv zugleich mit den Möglichkeiten, die sie hatten. Sie trauten und trauen dem Heiligen Geist mehr zu als den eigenen Bemühungen.

So wünsche ich mir, dass wir herausfinden und für andere einsetzen, was unter uns an Wirkungen des Reiches Gottes da ist. Es könnte durchaus das sein, was ich oben als Erwartungen aufgeschrieben habe. Jetzt aber nicht als Forderung von außen, sondern als Anliegen des Herzens. Nicht alles auf einmal und schon gar nicht als Last, sondern jetzt als das, was in uns und unter uns lebt. Nicht länger als Christenpflicht, sondern nun als Mitwirkung an dem, was der Geist Gottes unter uns tut. Dafür werden wir uns von falschen Erwartungen und dem Abmühen am Mangel freimachen müssen.

Lasst uns miteinander barmherzig sein!
Letztens hat mir ein katholischer Pater (ausgerechnet!) mit einem schlichten Satz verdeutlicht, wie man das lutherische „simul justus et peccator“ übersetzen kann: „Ein Pfund Fleisch ist immer dabei!“  Fleisch also.

Im lutherischen Sinne wird mit dem paulinischen Begriff „Fleisch“ der gesamte Bereich des Irdischen, Leiblichen und Menschlichen bezeichnet. Dazu gehören auch die Begrenzungen und Verfehlungen, die wir bei jedem Menschen wahrnehmen können. Wir sind fleischlich und damit mangelhaft. Auch deshalb kann und will es uns nicht gelingen, die Welt in ein Paradies zu verwandeln. Wir scheitern an uns selbst und unseren Ansprüchen, immer wieder. 

Ja, wir sind schon Bürger des Reiches Gottes, wir sind aber auch Bürger dieser unvollkommenen Welt. Deshalb wünsche ich mir für die Kirche, dass sie ein Ort ist, an dem es menschlich zugeht.

Manche sagen, die Sachsen seien besonders stark darin, sich gegenseitig in Frage zu stellen. Ich weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann. Ich nehme aber wahr, dass wir gern andere belehren und deren Schwächen mit einer gewissen Gnadenlosigkeit fixieren. Die Einteilung in richtig und falsch spielt bei uns eine große Rolle. Damit legen wir uns gegenseitig Lasten auf, statt einander anzunehmen und zu (er)tragen.

Es ist auch ein Teil unserer aktuellen gesellschaftlichen und kirchlichen Krisen, dass wir vorhandene Unterschiede zuspitzen, eigene Einsichten absolut setzen und damit Trennungen provozieren. Das Reich Gottes aber ist ein Reich der Barmherzigkeit. Es weiß um Grenzen der Einsicht und irdisches Versagen. Genau deshalb konzentriert es sich auf die Potentiale. Es nimmt Druck heraus und setzt auf die verändernde Kraft des Heiligen Geistes.
Ein Pfund Fleisch aber wird wohl immer bleiben. Deshalb lasst uns barmherzig mit einander sein, wie auch Gott barmherzig mit uns ist.

Liebe Geschwister,
am Reformationstag vergewissern wir uns der Wurzeln der Kirche. Sie haben ihren letzten Grund in den Worten und Taten von Jesus Christus selbst sowie den daraus folgenden Erkenntnissen der Reformatoren. Wir fragen zugleich, was davon in unseren herausfordernden Zeiten trägt, damit wir im reformatorischen Sinne in der Spur bleiben. In diesem Jahr ist mir besonders wichtig, dass wir uns neu auf die Gegenwart des Reiches Gottes mitten in der Welt besinnen und daraus unsere Schlüsse ziehen. Wenn Gottvertrauen wächst oder neu entsteht, unsere Hingabe dem entspricht, was uns anvertraut ist und unsere geschwisterliche Liebe stark bleibt, werden wir gesegnete Wege gehen.

Ich danke Ihnen von Herzen für jeden Einsatz im Dienst für das Reich Gottes, die Kirche und die Welt. Gott segne Sie dabei und halte seine schützende Hand über Sie und unsere Kirche.

In der Gnade Jesus Christi, der Liebe Gottes und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes von Herzen verbunden,

Ihr

Tobias Bilz

Der Hirtenbrief zum Download

Landesbischof Tobias Bilz

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